Mit rosigen Bäckchen, selig schlummernd, voller Vertrauen in Mutters Schoß.
Die junge Frau mit ebenso rosigen Wangen, entspannten Zügen. Tatsächlich jedoch ohne jegliches Lächeln, ernst, versunken und demütig blickt sie auf ihr Kind hinab.
Sie weiß, die Theotókos, die Gottesgebärerin: eines Tages wird sie ihren Sohn derart halten. Sie weiß um ihr Schicksal, weiß um ihre Aufgabe als Christusbereiterin.
Und das gesamte Gemälde weiß es, weiß es seit etwa 550 Jahren in Mischtechnik auf Holz in 120 mal 63 Zentimetern.
Die Bildkomposition weiß es, alles orientiert sich am Kreuz, folgt einer frontalen Symmetrie: Vertikal von Mariens Scheitel, durch ihre zum Gebet zusammengeführten Hände, hinunter in die tiefen Falten des Gewandes. Und horizontal von der Akanthusschnecke der Armlehne durch den liegenden Kindesleib zur anderen Armlehne.
Der marmorne Thron weiß es, ist er doch Grabesstein und Himmelsthron zugleich.
Ihre Kleidung weiß es, die Falten ihres blauen Gewandes eröffnen schon die Grabeshöhle.
Der Himmel weiß es, die beiden sind schon entrückt, keine Landschaft nur Wolken, beider Himmelfahrten sind präsent, Regina Coeli, Himmelskönigin.
Es wird ihr das Herz aus dem Leib reißen – wir kennen die Bilder, der in Kummer und Schmerz aufgelösten Mater Dolorosa. Es wird sie zerreißen.
Sie kann dem Ganzen nicht ausweichen, es wird geschehen.
Und dennoch Liebe. Wie mutig, dennoch zu lieben. Welch Größe.
Ein Griff durch die Zeit. Weihnachten wird nur gefeiert, weil es Ostern geben wird. Mit der Geburt werden wir sterblich. Erde und Himmel treffen sich. Braun und Blau, Leben und Tod, höchster Gewinn und ärgster Verlust – unumgänglicher, trostbringender Kreislauf. Und unsere Zeit ist allein wertvoll, weil endlich.
Giovanni Bellini hat mit seiner ‚Thronenden Madonna, die das schlafende Kind anbetet‘ ein Tafelbild geschaffen, in dem er zwei Marienbildtypen kompositorisch vereint.
Zum einen die häufigste Darstellungsform der Muttergottes: thronend mit Kind auf dem Schoß. Der Thron wird als Verweis auf ihre Position als Himmelskönigin gedeutet und als Sedes Sapientiae. In Anspielung auf den alttestamentarischen Thron Salomons ist dies der Sitz der Weisheit, das Jesuskind selbst die Verkörperung der Weisheit; Wissen als Herrschaftsattribut. Formal spielt Bellini auch auf klassisch byzantinische Ikonen an.
Zum anderen die Darstellung als Pietà, als Vesperbild. Der erschlaffte Körper Christi liegt in Madonnens Schoß, je nach künstlerischer Interpretation reicht die emotionale Bandbreite der trauernden Mutter von stoisch bis zerstört. Klassisch sind die Wundmale Christi zu sehen, die Dornenkrone häufig noch auf seinem Haupt. Ist der Thron hier aus Marmor gefertigt, verweist er auf die Grabesplatte.
In Maria mit Kind-Darstellungen sind Verweise auf das Schicksal, das die beiden erwartet, nicht selten. Etwa Marmorplatten oder Lämmer oder Distelfinken verweisen häufig als ikonografische Attribute auf den Opfertod Christi. Bellini verzichtet jedoch in seiner Darstellung auf große Ausstattung. Er bedient sich schlichter Mittel und der Körpersprache. So schlicht die Darstellung ist, so laut wird dadurch sein Gemahnen und die Unumstößlichkeit. Hypnos und Thanatos, Thron und Grab, irdischer und göttlicher Himmel.
Giovanni Bellini wurde circa 1434 in eine venezianische Malerfamilie geboren. Mit dem Wirken der Bellini beginnt die venezianische Malerei der Neuzeit. Der Einfluss der byzantinischen Kunst auf Venedig wird auch in diesem Gemälde präsent mit seinen Anklängen an die klassische Ikonenmalerei. Das Gemälde in Öl und Tempera auf Holz, ist vermutlich Teil eines zerstückelten Polyptychons und zeigt die thronende Madonna im Gebet mit dem schlafenden Kind auf ihrem Schoß. Das Bild besteht aus nur wenigen Elementen und wirkt daher schlicht, in seiner Formensprache aber ernst und gewichtig – auch inhaltlich, da es den Tod Christi ankündigt. Der ernste Ausdruck auf dem Gesicht der jungen Frau und die Haltung des Kindes deuten diese Vorahnung an und erinnern kompositorisch an andere Pietà-Gemälde. Unter dem Heiligenschein verbirgt ein weißer Schleier das Haar; das rote Gewand ist in den dunkelblauen Mantel gehüllt, der mit wellenförmigen Drapierungen bis zu den Füßen reicht. Der Thron ist aus Marmor gefertigt und mit zahlreichen Reliefs versehen, insbesondere an der architravierten Rückseite. Die Tiefe wird durch die perspektivische Flucht der Armlehnen korrekt wiedergegeben, der Raum im Hintergrund mit den Wolken scheint jeglichen Bezug zur Realität zu verlieren und förmlich abzuheben.
Heidelberg, Dezember 2022
Elisabeth Bohnet, Kunsthistorikerin und Germanistin