Viele Schwäbisch Haller Mitbürgerinnen und Mitbürger fiebern in jedem Frühling mit: Wann kommen unsere Störche aus ihrem Winterquartier im warmen Afrika zurück? Beziehen sie ihre Nester, treffen sie ihre Partner*innen? Wieviel Jungstörche schlüpfen? Und hoffentlich überleben sie Unwetter und Kälteeinbrüche. Im Herbst müssen wir uns dann mit ein bisschen Wehmut von ihnen und ihrem Nachwuchs verabschieden.
Die Zugvögel sind also immer Vorboten für uns. Ihr Abschied kündigt Kälte und Dunkelheit an, ihre Rückkehr bereitet auf Sonne und Helligkeit vor.
Der Prophet Jeremia hat sich ebenfalls für die Flugrouten von Zugvögeln interessiert:
„Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Schwalbe und Drossel halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.“
Jeremia 8, 7
Er stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie wir unser Leben hier auf der Erde gestalten wollen und sollen. Warum nutzt er gerade diesen Vergleich? Können wir vielleicht etwas von den Zugvögeln lernen?
Alle Zugvögel kennen genau ihre Wege und ihren zeitlichen Plan, wann sie losfliegen und wann sie wiederkehren. Sie folgen ihrem Instinkt, verlassen sich aufeinander, nutzen ihre Flugsysteme in Pfeilformation, mit wechselnden Vögeln an der Spitze, um sicher ans Ziel zu kommen.
Sie haben ein inneres Navigationssystem. Sie achten auf Gesetzmäßigkeiten und Kräfte im Kosmos und übernehmen Erfahrungswerte, die sie als Jungvögel von den Alttieren gelernt und die sich seit Jahrhunderten bewährt haben. Dabei bleiben sie aber auch offen für Neues und reagieren auf Klimaveränderungen oder neue geeignete Futter- und Rastplätze.
Einfach ist das Leben der Zugvögel trotzdem nicht. Eine lange Reise ist kräftezehrend und Gegenwind, Schnee, heftiger Regen, Futterengpässe und manche andere Gefahr erschweren ihren Flug auf ihrer Route. Dennoch aber bleiben die Zugvögel in ihrer Spur, jedes Jahr neu wagen sie ihre Aufbrüche in die eine oder andere Richtung – von Generation zu Generation.
Wie sieht es dagegen mit unserer eigenen Lebensreise aus? Oft sind wir doch recht hilflos und verloren, manchmal unbeständig unterwegs. Auch wir kennen Stürme, Regen, Dunkelheit und unvorhergesehene Gefahren.
Haben auch wir eine Art Instinkt, eine Spur, der wir vertrauensvoll folgen? Ein Navigationssystem, das uns sicher ans Ziel bringt? Mir gefällt der Gedanke, dass wir unserem Gott so vertrauen und folgen könnten wie die Vögel ihrem Instinkt. Einem Instinkt, dem wir folgen, weil wir merken: Das ist die richtige Richtung. Hier ist es gut, hier bin ich richtig im Leben. Ich wünsche mir, dass Gott auf meiner Lebensreise mein Antrieb und meine Orientierung ist.
Gott will uns ein Leben in Fülle schenken. Er möchte, dass unser Leben gelingt: „Ich bin das Licht der Welt und wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8,12), heißt es im Johannes-Evangelium. Wir alle wünschen uns dieses Leben auf der Sonnenseite. Ein Licht in unserem Leben, das bewirkt, dass wir ein Ziel haben und auf dieses Ziel zusteuern. Dass ein Leben mit Gott nicht immer bewahrt vor schwierigen Zeiten das wissen wir. Und doch ist Gott Licht und Orientierung!
Gott braucht unser Vertrauen für einen solchen Aufbruch mit ihm. Er kann uns ins Licht, ins Warme führen.
Gut ist, dass auch wir nicht als Einzelvögel leben müssen. Es gibt andere Christinnen und Christen in unserem Umfeld, die mit uns diesen Flug, dieses Vertrauen wagen. Wir fliegen manchmal vielleicht in unterschiedlichen Schwärmen. Auch bei den anderen ist es manchmal dunkel, gefährlich oder sie sind kraftlos. Wir können uns zu eigen machen, was uns die Zugvögel vormachen: Verliert der Vorflieger an der Pfeilspitze an Kraft, wird er ausgewechselt und darf an einer hinteren Position neue Kraft schöpfen. Bildlich gesprochen: Ich muss es nicht aus eigener Kraft schaffen, Gott ist mein Kraftgeber UND er gibt mir andere Menschen an die Seite, die an die Spitze fliegen können, wenn ich nicht mehr die Energie habe.
Die Kraft, zu beten, zu hoffen, eine Gruppe anzuführen oder ein Ziel wiederzufinden, das ich aus den Augen verloren habe…
Gott hat Menschen um mich herum in meine Lebensflugformation eingereiht, die mit mir zusammen den Flug bestreiten können.
Vielleicht werdet Ihr jetzt im Frühling oder auch im Herbst mal eine Zugvogelformation über Euch hinwegfliegen sehen. Dann schaut zum Himmel, denkt an Gott und ruft ihm zu: „Ja, dir will ich vertrauen, du bist mein Antrieb, mein innerer Kompass!“
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Auftrieb, wenig Lebensstürme, gute Kameraden in Eurer Formation, den Mut, auch mal jemand anderen an der Pfeilspitze fliegen zu lassen und die Klarheit darüber, dass Gott Euch sieht und Ihr mit ihm immer in Richtung Helligkeit unterwegs seid.
Dorothee Leister
Quellenangaben:
https://hannahs-initiative.de/impulse/andachten-2022/andacht-oktober-2022/
https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/morgenandacht/die-erste-stimme-11786
https://www.ev-kirche-bergneustadt.de/andacht-vorboten-fuer-das-kommende-und-fuer-den-sommer/
https://www.katholisch.de/artikel/33140-was-wir-von-zugvoegeln-lernen-koennen
https://www.predigt-online.de/prewo/frame_dein_licht_kommt.htm